Montag, 19. Oktober 2015

Die Ascaron-Chronik: Kapitel 1

Die Gründung von ASCARON

Mitte der Achtziger. Die Heimcomputer sind in aller Munde, und in Gütersloh, einer eher mittelgroßen Stadt in Westfalen wird von der Firma Rainbow Arts GmbH so mancher Klassiker für die guten, alten Computer wie den C64 veröffentlicht. Ein junger, talentierter Mann namens Holger Flöttmann – Jahrgang 1966 - wirkt als Grafiker bei einigen dieser Titel mit, so z.B. in Amiga-Spielen wie „In 80 Days around the World“, „Starball“ oder auch dem weniger bekannten „The Final Trip“. So kam er in den Genuss mit bekannten Namen wie Chris Hülsbeck zu arbeiten, Leuten, die heute in Retrokreisen immer noch sehr angesehen sind.

Scheinbar gefiel Flöttmann das Programmieren sehr, denn bereits 1988 gründete er die viel beachtete Softwarefirma Thalion Software GmbH, ebenfalls in Gütersloh ansässig. Unter seiner Regie erschienen Spiele wie das bis heute bewundernswerte Meisterstück „Chambers of Shaolin“, „Enchanted Land“ oder „The Seven Gates of Jambala“, bei denen er auch weiterhin u.a. als Grafiker in Erscheinung tritt. Bei Thalion ist Jochen Hippel sein Arbeitskollege, ebenfalls ein bis heute in Retrokreisen verehrter Chip-Musiker.

Thalion entstand ursprünglich aus einer Gruppe von befreundeten Atari ST-Demo-Codern, die aus ihrer Erfahrung mit dem Gerät endlich Profit schlagen wollten. Die ersten Veröffentlichungen dieser Firma wurden zunächst auf dem Atari ST programmiert, was angesichts der eigentlichen, technischen Überlegenheit des konkurrierenden Amigas bemerkenswert ist. Die Vision war immer, das technisch mögliche der limitierten Rechner auszureizen, wie man z.B. gerade an den Sounds von „Chambers of Shaolin“ oder auch am wunderbaren Scrolling in „Warp“ für den Atari ST gut erkennen kann.

So sammelte Flöttmann schon in jungen Jahren erste Erfahrungen in der umkämpften Spieleszene, zu einer Zeit,in der die Projekte herausfordernder wurden und nicht mehr wie in der Goldgräberzeit zu Beginn der Achtziger allein in Heimarbeit vor dem Commodore am Fernseher erstellt wurden. Diesen durch die ausweitende Projektierung von Softwareprodukten entstehenden Kostendruck merkte man auch bei Thalion.

In 1991 erfolgt bereits die Trennung Flöttmanns von Thalion. Fakt ist, dass die Spiele, die Thalion Ende 1990 veröffentlicht (u.a. „Leavin Teramis“), nicht den gewünschten Markterfolg haben und auch in den diversen Spielezeitschriften keine überschwänglichen Meinungen über die Qualität der Spiele herrschen. Dazu kommt, dass weiterhin zwei wichtige Mitarbeiter den Laden verlassen, namentlich der Autor Richard Karsmakers und Programmierer Marc Rosocha. Also wird Thalion an Ariolasoft verkauft. Mit handelsregisterlicher Wirkung per 15. Juli 1991 erlischt Holger Flöttmanns Geschäftsführereigenschaft bei Thalion. Der Weg ist frei für die Gründung von Ascon.

Fun Fact: Im J.R.R. Tolkiens Silmarillion gibt es einen Menschen namens „Hurin Thalion“, wobei Thalion für „der Standhafte“ steht.

Die Ascon Software GmbH hatte ihren Sitz in der Brockhagener Str. 461 in Gütersloh. Gegründet wurde die GmbH am 08. August 1991. Nach eigener Aussage und Intention sollte Ascon der Vertrieb für viele kleine engagierte Labels in Deutschland sein.



Ascon (der ursprüngliche Name) sollte einfach nur möglichst weit vorne im Alphabet stehen, da bot sich das "A" an. Danach war er bei der Namensfindung schnell bei "As", weil ein As ein positiver Begriff ist. Das "con" kam hinzu, weil es irgendwie technisch klang und damit für Computerspiele passte.“ (Zitat Eric Deters, ehemaliger Ascaron-Mitarbeiter)

Ascon war daher zunächst einmal als Publisher für einige Spiele tätig, darunter das Plattform-Spiel „Monster Business“ von Eclipse, eine ebenfalls junge Softwarefirma, die von eben genanntem Marc Rosocha ins Leben gerufen wurde. Weiterhin wurde das durchschnittliche Knobelspiel „Th!nk Cross“ vertrieben, ein Werk der österreichischen Max Design. Und vor der ersten Eigenproduktion kam noch das nächste Denkspiel für DOS-PCs heraus, ein Spiel namens „Turn It 2“.

Im Juni 1992 legte Ascon den Grundstein für eine erfolgreiche Zukunft. Vom bis dato unbekannten Team Triptychon übernahm Holger Flöttmann das Atari ST-Spiel „Die Pfeffersäcke“, und entwickelte es weiter zu „Der Patrizier“: 


Packshot von "Der Patrizier"



Damals lohnte sich das Auspacken noch. Ein ordentliches gedrucktes Handbuch, eine übersichtliche Karte - das geht heutzutage schon als Special Edition durch.



Sogar ein Lösungsbuch gab es damals.



Und der legendäre Ascaron-Humor sollte auch nicht fehlen.


Eine historische Wirtschaftssimulation, wie sie bisher in der Qualität nicht häufig zu sehen war. Die Grafik war hervorragend und dazu witzig, die Spieltiefe suchte seinerzeit ihresgleichen. Zugleich war das Spiel aber keine langweilige animierte Exceltabelle, wie es den teutonischen WiSims immer wieder nachgesagt wurde. Mit viel historischen Details kann das Spiel auch heute noch begeistern. Die tolle Idee hinter dem Spiel wurde mit zahlreichen Auszeichnungen belohnt und belegte in den Verkaufscharts monatelang den ersten Platz. Ein grandioser Start für eine junge Firma, deren zukünftige Spiele allein aufgrund dieses fantastischen Spiels mit reichlich Vorschusslorbeeren versehen wurden. Der Patrizier wurde für den PC nach einem guten halben Jahr nochmals neu aufgelegt, diesmal aber dem CD-ROM-Trend folgend: Neue Grafiken, animierte Cutszenen und Musik von CD. Die neue Version kam bei der Presse abermals gut weg, auch wenn aus heutiger Sicht der Mehrwert des Spiels allein in medialen Erweiterungen beschränkt blieb. Sogar ein Lösungsbuch wurde veröffentlicht, allerdings vom Sybex Verlag. Ein nettes kleines Büchlein. Ein Rätsel bleibt aber bislang, wer die hinter Triptychon stehenden Personen im einzelnen sind...

Es wird kolportiert (s. hier), dass aufgrund der damals noch sehr überschaubaren Truppe und der geringen Größe des Unternehmens eine Produktionsmarge von sage und schreibe rund 65% für Holger Flöttmann übrig blieb. Bei Verkäufen von rund einer viertelmillion Exemplaren und zu dem damals normalen Preis von 120 Mark (umgerechnet rund 61 Euro) blieben also stolze Nettoeinnahmen von rund 17 Mio. DM (Ergänzung vom 23.06.2018: Unter Kaufkraftgesichtspunkten sind 120 Deutsche Mark von 1992 heutzutage rund 103 Euro! Vielen Dank an Nicolas vom Anstoss-Jünger-Forum für diesen Hinweis!). Nur zum Vergleich: Weder FIFA 13 noch FIFA 14 haben in Deutschland die Schallmauer von mehr als 200.000 verkauften Exemplaren auf dem PC durchbrochen. Diese Nettoeinnahmen werden allerdings von ehemaligen Ascaron-Mitarbeitern in dieser Höhe als "nicht ansatzweise" bestritten.

Dies war der donnernde Startschuss für einen bemerkenswerten Spieleentwickler, einen, der bereits früh den Kontakt zu den Fans suchte und dessen Communitynähe zu seinen besten Zeiten beispielhaft war. Und die größten Würfe sollten erst noch folgen.

Übrigens, wer es damals geschafft hat, in Patrizier zum Eldermann zu werden, der konnte an Ascon schreiben und bekam die sogenannte „Eldermann-Nadel“ geschenkt. Hat jemand noch diese edle Anstecknadel in Form das Ascaron-Drachen zuhause?


(Quelle: http://www.rassware.de/games-der-patrizier.php)


Retro-Fans unter euch kennen bestimmt die Podcast-Serie von Gunnar Lott und Christian Schmidt „Stay Forever“. Das Spiel Patrizier hat eine eigene Folge bekommen, die ihr unter http://www.stayforever.de/2015/03/folge-42-der-patrizier/ findet. Unbedingt reinhören!